«boxen», 2012, Installation Rathaus Pulheim
«boxen», 2012, Installation Rathaus Pulheim

 

Anja Hoinka – boxen, feminin plural

 

Titel weckt bewusst falsche Erwartungen, beschreibt zugleich (im Sinne einer grammatikalischen Wortbestimmung) worum es geht: Boxen im Sinne von Kästen. Typographie der Karte ist wichtig, das Architektonische der Type.

 

AH stellte 2005 an gleicher Stelle aus, gradewegs hieß die Präsentation, eine Art großer Raumzeichnung mittels aufgeklebtem Teppichfilz, ein einziges Band vom Boden über die Wände laufend, „Raum als Blatt für blaue Bahn“, liegt selbstständig über diesem Raum, geht über diesen hinweg und konstituiert eigene Räumlichkeit)

 

Arbeit mit Karton schon während und nach dem Studium. Beschäftigung mit Raum, Raum- und Dingkonstruktionen

 

BOXEN wird eine andere Art der Raumaneignung sein, wieder als installative Arbeit, diesmal eher Vorgaben des Raumes aufgreifend, diskreter. Intuitives Vorgehen – eine Interpretation des Raumes in seine Gegebenheiten oder doch dessen Verwandlung. Entfunktionalisierung (Türen als Kästen), Irritation (unten – oben) und Ironisierung (riesige Schübe – das auffallend Unauffällige). Mit Raum und gegen ihn.

Raumübernahme? Raum überziehen und dadurch neutralisieren (Maserung der wohnlich-warmen Materialien), obwohl Farbigkeit erhalten wird. Eingriff diskret?

 

Ausgang bei Holztüren, diese und auch Laibungen mit einer Art kräftigem Packpapier überziehen, auch Klinken mit Tesapack verkleben. Werden so zu den Boxen, die aus Pappe bestehend neben ihnen als Relief / Kästen hängen werden. Ebenso die Heizungsverkleidungen und deren Rahmen aufgreifen. Entstehen soll ein Zusammenklang und Zusammenhang ein mehrteiliges Relief aus Vorhandenen und eingefügten Volumina.

Eine Art Raumklammer, die Oben und Unten verbindet (Achtung! Ornamentale Linie in Bodenfliesen wiederholt sich in der Decke). Die Türenboxen „stehen“ auf dem Boden, während die Pappboxen mit einer Schmalseite direkt unter der Decke hängen, so ergibt sich eine Vertauschung von Decke und Boden.

 

Boxen bzw. die Einbauten greifen in Farbigkeit und Maße auf die Vorgaben der verkleideten Heizungen bzw. Tüen zurück. Höhe der Tüen bzw. Breite der Heizkörperverkleidungen maßgleich mit Kartonboxen. Bei Türen jedoch nicht deren Breite und Tiefe.

 

Jede Box ist Variation eines Typs. Drei Türboxen und drei Heizungsboxen.

 

Türboxen als flacher Kasten (Tiefe 25 cm) mit einer Art Faltung, Eintiefung die an eine Raumecke oder eine geöffnete Tür denken lässt. Anblick als Bild und realer Raum.

Illusionismus (andeutungsweise?) und Tatsächliches gehen ineinander über? Die ersten beiden, breiteren Boxen entwickeln für den Vorübergehenden zwei Varianten zu diesem Thema, auch eine art Bewegung (zweimal das gleiche sehen aber aus verschiedenen Perspektiven?)

Bei diesen Boxen beachten: unterschiedliche Winkelungen der Boden und der Deckenstücke (Ausgleich der Blickwinkel, Entfernungen zum Auge?)

Die zweite Box weist an der rechten Schmalseite eine Art Kerbe auf, eine Art Hineinsicht in den Körper, breitet auf die dritte vor? Diese bietet zwei Raumecken (wie Zusammenfassung der beiden zuvor isolierten), als Ausschnitt, d.h. schmaler und insgesamt nur halb so breit wie die ersten beiden Boxen. Raumecken auch hier nicht als Wiederholung sondern auch im Sinne einer Bewegung (oder Simultanräumlichkeit?) als zwei Varianten eines Musters. Doppelung stört, irritiert den Illusionismus? Abstrakter, komplexer, eher ein Rhythmus kubistisch-kristalliner Raumkörper oder eher Raumumgebungen, Raumrahmen.

Bei der dritten, der Doppelbox Bezug zu Doppelflügeltür die zu Sitzungssaal führt? Diese Tür ist allerdings fast unsichtbar, da am ende eines kurzen Gangs liegend. Sichtbar bezieht sie sich auf Tür an Stirnwand. Diese Tür ist Durchgang nach draußen. Pappe soll relativ weich gefaltet werden, keine oder möglichst keine harten Schnitte. Wand über Heizkörper bleibt frei? Ist noch offen. Heizkörperabdeckung wird verkleidet.

 

Standortabhängigkeit – aus der Bewegung, der Nutzung des Raumes erleben? Neuralisierung durch Überzüge der Türen, deren Funktion als Türen, Durchgänge zurückgenommen zugunsten ihrer raumplastischen Qualitäten?

 

Tüen als einfache Boxen, Eintiefungen, während die Pappboxen als in Raum ausgreifend und zugleich als Innenraum, als flache Raum umgebende Gebilde gesehen werden können. Boxen auch als Blickverstärker, als Blick in eine Ecke der realen Türkästen. Siehe auch das Motiv der Raumecke in frühen Papparbeiten Hoinkas.

 

Über Heizung an gegenüberliegender Wand drei horizontale Körper / Boxen. Diese wied drei Varianten zu Thema Schublade. Dies von Verkleidung angeschoben, diese wie Schublade die genau / bündig in Rahmung sitzt. Körper darüber als zu tief eingeschobene Lade, die mittlere als noch herausstehende, die dritte auch, diese stößt an Decke an. „Laden“ wirken wie ungenau in den Schüben sitzend, sind leicht aus der Symmetrie gerückt. Mittlere in rechts/links – Sitz gestört, die obere hat keine Entsprechung zum unteren Abschluss (wiederholt, spiegelt damit die direkt über dem Boden ansetzende Verkleidung der Heizung)

 

Vitrinen: ätere Pappmodelle (Raumnegativ / -positiv) aus den frühen 1990er Jahren, Raumumschreibungen, Raumumhüllungen, umklappen des Blicks, in Volumen hineinsehen. Alltägliches (Tisch, Sitz), Architektur

 

Alles Mögliche im Raum mit Packpapier überzogen, auch Steckdosen, Schilder, vor allem auch Türklinken (starke Irritation – WC darf weiterhin genutzt werden); dies Teil der Raumaneignung. Frage natürlich was ist nun ein Kunstwerk, was nicht, noch nicht, um wie viele Arbeiten handelt es sich?

 

Hoinka: „Den Raum seltsamer, schöner machen“ (und man kann ergänzen: fremder, befremdlicher machen), einen anderen Blick gewinnen – diesen Raum zeigen, Raum zeigen [Boxen als Konzentrate dieses Raumprogramms]. Erker z.B. korrespondiert mit Innenraum der Boxen. Zwei Erker und zwei Boxen ihnen gegenüber. Raumumdeutung. Heizungsverkleidungen wie Schubladen im Wandschrank.

 

Raumgewohnheiten und ihre diskrete Störung – Farbigkeit aufgegriffen, ein bisschen verschoben, homogenisiert. Unten oben / Innen Außen.

Türen sehen aus wie Attrappen.

 

Alle Arbeiten eigens für diesen Raum entwickelt und gefertigt.

Poveres Material – sehr präzise verarbeitet (weiche Kanten, kaum, keine harten Schnitte, leichte Spannungen) seltener verwendet (Erwin Heerich, Insel Hombroich) – keine kunstfremden Materialien.

 

Puristisch, alltäglich, nicht ganz leicht einzuschätzen, neutral? – Nicht Holz, nicht Kunststoff, nicht Metall – aber vielleicht auch nicht unmittelbar Papier. Gewicht auch ihnen nicht anzusehen.

Kontrast zu Backstein

 

Vorstellung von Hülen (Hineinsehen, Raum dahinter – Einbuchtung in Box 2)

 

Gehen, allmähliches Entdecken (Verrückungen, Versetzungen in Dreierschubladenblock), welche Türen miteinbezogen. Maßbezüge zu Tüen Misstrauen auch, was übersehen (Fensterfront z.B. nicht mitgenommen?!)

 

Abstrakte Lesart und konkrete, dinghafte (Türen, Schubladen)

 

Bewegung durch den Raum, Passage, eine Art Rundgang, bei dem Arbeiten und der ganze Raum in den Blick kommen.

 

Den Ort zeigen und zugleich verändern, verfremden.

 

Boxen als Bewegung, nach Vorne und wieder zurück. Schubladen ein- und ausfahren.

 

Den Raum mitnehmen, ihn nutzen, anzapfen, Gegebenheiten miteinbeziehen.

 

Boxen suggerieren Öffnung (als Tür) und sind zugleich ganz geschlossen.

Wie Blick in eine Raumecke?

 

„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar.“ (Paul Klee, Schöpferische Konfession 1920)

 

 

Jens Peter Koerver

 

(Gedanken aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung „boxen, feminin plural“, Rathaus Pulheim, 31. Mai - 28. Juni 2012)